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Editorial

2019 Ausgabe 3 August Autor: Pio Schurti

Wir Liechtensteiner sind ja recht stolz auf unsere Demokratie, das dürfen wir auch sein, haben wir doch ein recht gut funktionierendes Staatsgefüge.

Die Demokratie wurde in ähnlich kleinen (Stadt-)Staaten im antiken Griechenland «erfunden». Die Griechen «wählten» ihre Magistrate bzw. ihre Regierung. Allerdings hatten die alten Griechen noch nicht das gleiche Verständnis von «wählen». Es war ihnen nicht wichtig, dass z.B. die Bürger von Athen Regierungschef
oder Präsidenten wählen konnte. Die höchsten Ämter wurden in der Antike oft verlost. Es kam sogar vor, dass Männer zum Chef gewählt wurden, die gar nicht kandidierten.

Die Anzahl der Stimmen, die man als Kandidat bekam, geschweige denn der Stimmenanteil, den eine politische Partei erringen konnte, war den Erfindern der Demokratie noch gar nicht wichtig. Nicht die Mehrheit entschied, sondern das Los. Was den Erfindern der Demokratie aber wichtig war, das war die Rechenschaftspflicht. Die Magistrate hatten regelmässig Rechenschaft abzulegen.

In den ersten Demokratien, wie sie im alten Griechenland entstanden, war «documasia» das oberste demokratische Prinzip. Der Regierungschef wurde vielleicht ausgelost, er wurde vielleicht «gewählt», obwohl er gar nicht kandidierte und obwohl es keine Wahlen gab, wie wir sie heute kennen.

Aber von jedem Magistraten wurde erwartet, dass er Rechenschaft ablegt bzw. Transparenz an den Tag legt.

Und wenn dem Senat bzw. den Bürgern von z.B. dem alten Athen nicht gefiel, was der Magistrat in seinem Rechenschaftsbericht präsentierte, dann konnte das drakonische Konsequenzen haben. Im extremsten Fall wurde der Schierlingsbecher gereicht.

Das Demokratieverständnis hat sich glücklicherweise weiterentwickelt. Mann oder Frau darf antreten und sich freiwillig einer Kandidatur stellen. Als Bürgerinnen und Bürger können wir wählen, wer unsere Volksvertretung sein soll. Indirekt können wir in Liechtenstein auch wählen, wer uns regiert.

Wahltag, heisst es heute, ist Zahltag. Wenn die Wähler, heute die Bürgerinnen und Bürger, nicht zufrieden sind, dann geben sie es den Kandidaten an der Urne zu verstehen.

Wie im alten Griechenland erwarten die Wählerinnen und Wähler aber immer noch Transparenz und Rechenschaft.
Was die Erfinder der Demokratie nicht mochten, mögen auch die Nachahmer der Demokratie nicht: Unehrliche Politik/Gemauschel.

Demokraten, wie wir sie alle sind, erwarten gewissermassen einfach «Anstand». «Anstand» bedeutet aber nichts anderes als gutes Benehmen. Oder Höflichkeit. Der Philosoph Arthur Schopenhauer soll gesagt haben: «Höflichkeit ist ein Luftkissen: Es mag wohl nichts drin sein, aber es mildert die Stöße des Lebens.»

Politik ist schwierig. Einerseits erwarten wir Offenheit, Direktheit, Ungeschminktheit. Andererseits ist uns «Höflichkeit» lieber. Höflichkeit wattiert, dämpft, mildert.

Anstand oder Höflichkeit ist nicht die kalte, direkte Wahrheit. Deshalb war vielen Liechtensteinerinnen und Liechtensteinern der Sonderlandtag, der zur Absetzung von Ministerin Frick führte, unangenehm.

Die kalten Fakten kamen direkt auf den Tisch.

In Liechtenstein sind wir das nicht gewohnt. Man stelle sich das vor: Dem dienstältesten Regierungsmitglied wird
nach einer über 7-stündigen Debatte im Landtag das Vertrauen entzogen.

Die Politik ist roher geworden. Wir brauchen nur nach Grossbritannien oder in die USA zu schauen. Aber das sind grosse Länder. Man kann in solchen Ländern ja immer noch auf Abstand gehen, wenn man’s braucht.

In kleinen (politischen) Verhältnissen wie den unsrigen ist das schwierig. Das dürfte ein Grund sein, weshalb die Demokratie in kleinen Verhältnissen wie den unsrigen schwieriger sein könnte als in grossen, anonymeren Gesellschaften.

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