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Editorial

2020 Ausgabe 3 September 2020 Autor: Pio Schurti

In den letzten Jahrzehnten ist in manchen Kreisen das Demokratieverständnis geschwunden, die Demokratie hat rund um den Globus entsprechend Schaden genommen.

Kommunikations- und Meinungsmanagement verdrängen das öffentliche Debattieren, den Austausch von gehaltvollen Argumenten und damit die gemeinsame Entscheidungsfindung immer mehr. Wesentliche politische Entscheidungen werden zunehmend von demokratisch wenig oder nicht legitimierten politischen oder wirtschaftlich motivierten Interessensgruppen herbeigeredet und wenn möglich erzwungen.

Solche Interessensgruppen, also Vereine, Verbände, etc. gibt es auch in Liechtenstein genügend. Ihr politischer Einfluss ist gross, obwohl sie keine «Volksvertretungen» sind, sondern eigentlich nur Vereinigungen von Gleichgesinnten, die demokratisch nicht rechenschaftspflichtig sind und vom Volk nicht abgewählt werden können, wenn ihm, dem Volk, ihre Absichten und Interessen nicht gefallen.

Obwohl sie politisch nicht zur Rechenschaft gezogen und gegebenenfalls abgewählt werden können, haben die Interessensgruppen (noch) Spuntis vor dem Volk, genauer gesagt vor Volksabstimmungen. Zum Glück beteiligen sich die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner im internationalen Vergleich meist (immer noch) sehr zahlreich an Volksabstimmungen und Wahlen.

Um Volksabstimmungen möglichst zu vermeiden, wird deshalb gerne eine spezielle Taktik angewandt: die Salamitaktik. Dafür gibt es in Liechtenstein viele Bespiele. Das jüngste: Der Ausbau der Bahnlinie von Feldkirch nach Buchs wurde dem Volk als erster Schritt in der Umsetzung des sogenannten Mobilitätskonzepts präsentiert. Der erste Schritt? Seit Jahren versucht eine Minderheit, die Bahn in Liechtenstein auszubauen und damit unser Verkehrsproblem zu lösen. Die Absicht dahinter mag eine gute sein: Man will die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel fördern und den motorisierten Privatverkehr möglichst reduzieren. Die inzwischen sattsam bekannte Hoffnung lautet seit Jahren: Hätten wir eine gute Bahnverbindung von Österreich und der Schweiz nach Liechtenstein würden täglich tausende Pendler ihr Auto zu Hause lassen und mit der Bahn nach Liechtenstein zur Arbeit kommen; der Strassenverkehr könnte so reduziert werden.

Dieses Argument konnte und kann aber offensichtlich keine Mehrheit überzeugen. Das hat das Abstimmungsresultat gezeigt. Mit einer S-Bahn lässt sich unser Verkehrsproblem nicht lösen. Es werden z.B. auch Strassen gebaut werden müssen.

Um die Skepsis gegenüber der Bahn zu überwinden, wurden immer wieder neue Anläufe genommen, aber es wurden keine neuen, überzeugendere Argumente vorgebracht.

Anstatt überzeugendere Argumente bekam man Totschlagargumente zu hören: Wenn wir die S-Bahn ablehnen, dann ist das Mobilitätskonzept kaputt, dann kommen wir Jahre lang nicht mehr vom Fleck. Mit einem Nein würden wir unsere wirtschaftliche Zukunft gefährden, etc.
Und wenn solche Angstmacherei auch nicht die gewünschte Wirkung hat, dann wird man persönlich. Es ist eine Schande für unsere Demokratie, wie S-Bahn-Gegner, darunter sogar Leute mit einschlägiger Berufserfahrung in der Güter- und Personenlogistik, als dumm oder senil verunglimpft wurden, ohne dass auf ihre Argumente eingegangen worden wäre.

Wie schlecht es in manchen Köpfen um das Demokratieverständnis bestellt ist, offenbarte ein ehemaliger Parteipräsident, der nach der Abstimmungsniederlage Liechtenstein als «arm und kleingeistig» bezeichnete.

Vor dem Hintergrund solcher demokratiefeindlichen Vorgänge ist das Positivste an der S-Bahn-Abstimmung die Tatsache, dass die Stimmbevölkerung die elitären Besserwisser wieder einmal in ihre Schranken verwiesen und damit unsere Demokratie gestärkt hat.

 

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