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Editorial

2020 Ausgabe 4 Dezember 2020 Autor: Pio Schurti

Wir sind offiziell in der Zeit angekommen, die allgemein als die besinnliche gilt. Für manche sind die Feiertage an Weihnachten und Neujahr fast wie eine Aufforderung: «Bsinn di!» Geh‘ in Dich! Mach‘ Dir gute Vorsätze fürs neue Jahr!

Wenn eine derartige Aufforderung überflüssig ist, dann in einem Jahr wie diesem. Eingesperrt im Lockdown von März bis Mai waren wir schon zur Einkehr gezwungen. Während manche vielleicht nicht so unglücklich waren, aus dem Hamsterrad des Alltags herausgerissen und zum Stillstand gezwungen worden zu sein, brachte die verordnete Ruhe für viele andere innere Unruhe und Angst mit sich. Angst vor dem Virus, Angst vor den Einschränkungen und auch Existenzangst.

Wer Angst hat, kann sich bekanntlich nicht mehr besinnen. In den vergangenen Monaten war die negative Stimmung das Bedenklichste. Wenn man liest, dass Jugendliche und junge Erwachsene in Depressionen oder Hoffnungslosigkeit versinken, könnte sich auch der eigene Blick in die Zukunft verdüstern. Der Politik müsste die Befindlichkeit vor allem der jungen Menschen Sorgen machen.

Existenzangst ist verständlich, nachempfindbar. Sie ist die vielleicht schlimmste Form von Angst, weil sie lähmt. Ist sie aber in der Realität begründet und, weil sie real ist, auch berechtigt?

Es ist gut möglich, dass wir erst in der Mitte der Krise angelangt sind, kann auch sein, dass dem Staat der Schnauf für wirtschaftliche Unterstützung ausgeht, bevor wir ganz durch die Krise sind. Dann haben wir alle verloren, nicht nur diejenigen, deren Job oder Geschäft der Pandemie oder den Massnahmen gegen die Pandemie zum Opfer fällt.
Aber wie kann man den Menschen die Angst nehmen? Indem die Politik versucht, mit Versprechungen und Zückerchen Zuversicht zu verbreiten? Den Standpunkt zu vertreten, dass es die Pandemie gar nicht gebe, dass wir alle irgendwann mal sterben müssen oder umgekehrt den Leuten mit unehrlichen Sprüchen wie «let’s make America great again» falsche Hoffnungen zu machen und politische Gegner, die schwierige Entscheide und unliebsame Massnahmen treffen, als Bösewichte hinzustellen, welche das Virus vielleicht nicht grad selber freigesetzt haben, jetzt aber die Pandemie ausnutzen, um uns die Freiheit, den Lebensunterhalt und schliesslich das Leben zu nehmen – das alles hilft auch nicht weiter.

Inwiefern verbreitet unsere Regierung Zuversicht? Wenn man deren Pressekonferenzen vor dem inneren Auge hat, dann sieht man zwei oder drei «kühle Rechner», die bereit sind, – im Vergleich zu anderen Regierungen – relativ viel Geld in die Hände zu nehmen, um die Existenz- und Zukunftsangst der Leute zu überdecken. Nehmen kann die Existenz- und Zukunftsangst ja anscheinend auch wirtschaftliche Unterstützung nicht – jedenfalls nicht allen.

Deshalb könnte ein irrationaler, naiver und zweckoptimistischer Spruch wie «alles kommt gut» auf einem Boutique-Schaufenster inspirierend sein. Die Inhaberin des Kleiderladens ist seit dem Lockdown im Frühling vielleicht pleite gegangen, für sie ist vielleicht gar nicht «alles gut gekommen», aber mir gefällt der Gedanke, dass sie diesen Spruch quasi als Lebensmotto immer noch auf dem Schaufenster stehen hat oder wieder, immer wieder draufschreiben würde.

Hoffentlich ist die trotzige Zuversicht der Geschäftsinhaberin ansteckend – ansteckender als die Pandemie. Wenn die kommenden Wochen und Festtage, ja eben, «gut kommen», wird es eine besinnliche Zeit in positivem Sinne und wir können als Gemeinschaft neuen Mut fassen und Vertrauen in die Zukunft schöpfen.

Die Unabhängigen wünschen allen trotz der unangenehmen Massnahmen frohe Festtage und einen guten Rutsch in ein pandemiefreies gesundes Neues Jahr. Es kunnt scho guat!

Pio Schurti

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