Hoi du - Archiv

Die S-Bahn FL.A.CH ist weder durchdacht noch durchgerechnet!

von Pio Schurti

Das Bahntrasse wäre geradezu prädestiniert für eine Entlastungs- und Umfahrungsstrasse von Schaanwald bis nach Buchs. Für den Güterverkehr wäre eine direkte Verbindung von Feldkirch ans Schweizer Schienennetz sinnvoller als der Ausbau der Bahnstrecke Feldkirch-Buchs durch Liechtenstein zu einer S-Bahn.

Mitte Juni wandte sich Dr. Norbert Obermayr, der in Mauren seine Firma «Dr. Obermayr Anstalt Risk-&Cost-Engineering Ingenieurbüro für Maschinenbau und Betriebstechnik» führt, mit einem Schreiben an alle Parteien/Abgeordneten unseres Landes, in welchem er aus Sicht eines ausgewiesenen Sachverständigen dringend davon abrät, dem Verpflichtungskredit für die S-Bahn FL.A.CH zuzustimmen. Das Projekt, über das die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 30. August werden abstimmen können, sei mangelhaft und nicht zustimmungsfähig. Politikern und auch den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern mag es etwas seltsam anmuten, dass Dr. Obermayr sich nicht grundsätzlich gegen die S-Bahn äussert, sondern gegen die geplante, bereits terminlich festgesetzte Volkabstimmung.

Politisch betrachtet ist dies ungewöhnlich. Wer hat schon mal gehört, dass eine vom Landtag beschlossene Volksabstimmung über ein Infrastrukturprojekt vertagt wird, bis ein besseres Projekt vorliegt? Aus Sicht der Unabhängigen trägt Dr. Obermayr genügend Argumente vor, die gegen das bestehende S-Bahn-Projekt sprechen.

Dr. Obermayr hält das S-Bahn-Konzept derzeit für nicht entscheidungsreif und sagt, ohne gravierende, wirklich einschneidende Änderungen werde es auch nicht entscheidungsreif. Für die Unabhängigen bedeutet dies ganz einfach: Ein schlechtes, kostspieliges Projekt gehört abgelehnt.

In seinem Schreiben hält der Logistik-Experte Dr. Obermayr fest, dass eine umfassende und neutrale Information der Liechtensteiner Bevölkerung bei einem so wichtigen und kostspieligen Projekt sehr wichtig sei. Als Fachexperte könne er die Mängel in diesem Konzept erkennen, und als Liechtensteiner betrachte er es als Pflicht, dementsprechend umfassend zu informieren.

Diese Haltung ist lobenswert, insbesondere wenn man diese mit dem Vorgehen der Regierung vergleicht, die zurzeit durch die Liechtensteiner Dörfer tingelt und den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern in so genannten Informationsveranstaltungen einfach nur ihr Projekt zu verklickern versucht: Harry Quaderer hat in seinem Beitrag (Seite 1) das Vorgehen der Regierung richtig benannt: Gehirnwäsche.

Der Sachverständige Dr. Obermayr hält in seinem Schreiben an alle Parteien fest, dass er nicht grundsätzlich gegen das Mobilitätskonzept sei, sondern für die Aufhebung aller Mängel, die noch in diesem enthalten seien. Der wesentlichste Mangel bestehe im fehlenden und für derart hohe Investitionssummen zwingend erforderliche so genannte «Investitionsantrag» (siehe Randspalte rechts).

Dr. Obermayr führt in seinem Schreiben weiter aus, dass das im Frühjahr präsentierte Mobilitätskonzept der Regierung nicht konkret auf Zahlen eingehe, wie das für die Genehmigung eines derart hohen Investitionsprojektes erforderlich sei.
Er plädiert für ein Denken in Alternativen. Ein Zusammenwirken mehrerer Verkehrsmittel stelle dabei noch keine Alternative dar. Ein Bild von einer modernen Strassenbahn in Zusammenhang mit der S-Bahn zu bringen, könne auch als Täuschung interpretiert werden.

Eine Kosten-Nutzen-Analyse sei unabdingbar. Wer würde dem widersprechen? Dabei sei es natürlich leichter die Kosten zu ermitteln, als den Nutzen quantitativ zu bewerten. In der Kosten-Nutzen-Analyse gebe es immer gewisse Bandbreiten (best case, expected case, worst case). Ein vager qualitativ dargestellter Nutzen reiche für eine fundierte Entscheidung jedenfalls nicht aus.

Qualitative Mängel des S-Bahn-Projekts
Dr. Obermayr ist nicht der erste, der feststellt, dass die Streckenführung der S-Bahn nur gut ein Drittel der liechtensteinischen Nord-Süd-Ausdehnung betreffe und mit Ausnahme von Bahnhof Schaan weitgehend an den Ortsgebieten vorbeigehe.
Im Mobilitätskonzept heisst es dagegen zur S-Bahn: «Das Leitprojekt S-Bahn Liechtenstein beinhaltet den Doppelspurausbau von der Staatsgrenze in Schaanwald bis zum Bahnhof Nendeln auf einer Länge von 3,9 Kilometern. Dies ist notwendig, damit die gleichzeitig in Feldkirch und Buchs abfahrenden Züge kreuzen können. Das Projekt ermöglicht die Einführung eines Halbstundentakts. Ausserdem wird die veraltete Bahntechnik durch den Einbau neuer Komponenten auf einen zeitgemässen Standard gebracht.»

Dr. Obermayr weist darauf hin, dass es hier wohl um das Interesse der ÖBB gehe, dass die Züge ohne Behinderung durch den Gegenverkehr fahren können. Die Verifizierung, dass auch zwischen Nendeln und Buchs ein 30-Minuten-Takt möglich werde, fehle jedoch. Um auf der ganzen Strecke Feldkirch-Buchs einen 30-Minuten-Takt garantieren zu können, seien neue Signal- und Schrankensteuerung sowie die Anbindung an ein elektronisches Stellwerk notwendig.

Diese «Aufrüstung» der Bahnstrecke Feldkirch-Buchs kommt vor allem der ÖBB, für den Cargo-Verkehr, zugute. Es handelt sich, wie Dr. Obermayr die politischen Vertreter des Landes informierte, um keinen «zweckgebundenen Aufwand für die S-Bahn».
Im Mobilitätskonzept wird auch angeführt, dass mit der Realisierung der S-Bahn die Lärmschutzverordnung umgesetzt werde. In Schaanwald, Nendeln und Schaan sollen Lärmschutzmassnahmen vorgenommen werden. Doch wie Dr. Obermayr zurecht festhält, die Lärmschutzmassnahmen gehören nicht zum S-Bahn-Konzept und müssen auch ohne dieses umgesetzt werden. Seine Frage, ob es sich bei dieser Halbinformation um eine bewusste Täuschung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger handle, ist mehr als berechtigt.

Gemäss Mobilitätskonzept sollen die Haltestellen in Schaanwald und Nendeln sowie Schaan-Forst und der Bahnhof Schaan-Vaduz komplett erneuert werden. Überdachte Bahnsteiganlagen Fahrradabstellplätze und Busvorfahrten sollen die Bahnhöfe zu modernen Mobilitätsdrehscheiben machen.

Nendeln eine moderne Mobilitätsdrehscheibe?!
Dr. Obermayr erinnert daran, dass gemäss Mobilitätskonzept der Bahnhof in Nendeln sogar einen 350 Meter langen Bahnsteig bekommen soll, damit bei einem Railjet-Halt Personen ein- und aussteigen können. Warum soll das in Nendeln gebaut werden? Die Begründung: Weil schon bisher ein Railjet stehenbleibt und den Gegenverkehr abwarten muss (Aussage in der Landtagssitzung vom 4. Juni).

Dem hält der Sachverständige Obermayr entgegen, ob je ein Railjet einen definierten Halt machen werde, bleibe ungewiss und sei auch aus einem ganz anderen Grund eher abzulehnen als zu befürworten: Mit dem Railjet soll die Bahn sauf der Mittelstrecke (europäischer Städteverkehr bis ca. 600 km) den Flugverkehr ablösen. Das werde aber nur durch schnelle Städteverbindungen bewerkstelligt werden können. Ob da ein Halt in Nendeln für einen Railjet Sinn macht, darf man in Frage stellen. Feldkirch oder auch andere grössere Ortschaften hätten bestimmt eher ein Anrecht darauf, dass der Railjet bei ihnen anhält anstatt in Nendeln.
Seit Jahren macht der VCL Prophezeiungen, wie viele Pendler die S-Bahn benutzen werden, um in Liechtenstein zur Arbeit zu kommen. Diese Fahrgastzahlen sind nicht mehr als unpräzise Mutmassungen, reines Wunschdenken. Auch Dr. Obermayr stellt die Frage in den Raum, woher diese Zahlen überhaupt kommen? Und wenn im besten Fall tatsächlich tausende Pendler die S-Bahn benutzen würden, wie es sich die S-Bahn-Enthusiasten erhoffen, muss man die Kosten-Nutzen-Frage wieder stellen. Vielleicht sind die Kosten einfach zu hoch, der Nutzen einer S-Bahn zu klein.

Die S-Bahn Liechtenstein ist kein reines Eisenbahnprojekt, erinnert Dr. Obermayr, sondern ein Verkehrsprojekt, das alle Verkehrsträger berücksichtigt. Zusätzlich zu den Eisenbahn- und Haltestellenausbauten gehören auch verschiedene Strassen- und Radwegprojekte zum Gesamtpaket. Aber wie sehen die weiteren Projekte in der konkreten Verbindung mit der S-Bahn aus, fragt Dr. Obermayr? Wie sähen z.B. die Busvorfahrten aus? Von wo nach wo werden Busse verkehren? Die S-Bahn ist für Gemeinden wie Ruggell oder Schellenberg praktisch wertlos. Die S-Bahn als «Rückgrat» der Mobilität in unserem Land zu bezeichnen, ist nicht nur übertrieben, sondern geradezu frivol. (Das sind nicht die Worte von Dr. Obermayr, sondern der «hoi du»-Redaktion).

Dr. Obermayr schreibt: «Das Mobilitätskonzept mit der S-Bahn als Kernprojekt ist für Menschen mit eingeschränkter Mobilität absolut nicht tauglichkeitsgerecht. Zu den Menschen mit eingeschränkter Mobilität gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Rollstuhlfahrer, Eltern mit Kinderwagen, aber auch Personen mit grösserem Gepäck. Wenn man die demografische Entwicklung mitberücksichtigt, dann kann man erkennen, dass das vorliegende Mobilitätskonzept ein oftmaliges Umsteigen erfordert oder – bei anderer Gestaltung der Buslinien – einfach sehr teuer wird…

Warum kann das S-Bahn-Projekt als Kern- und Leitprojekt des Mobilitätskonzeptes 2030 (noch) nicht angenommen werden? Jedes Investitionsprojekt braucht, wenn es entscheidungsreif ist, klare Angaben über das Investitionsobjekt (wenn es Teil eines Ganzen ist zumindest in der Gesamtheit als Kern dargestellt) – anhand einer nachvollziehbaren Beschreibung; bei den meisten Entscheidungen gibt es auch vergleichbare Alternativen und eine Entscheidungsempfehlung – mit der Angabe der Investitionskosten eventuell auch im zeitlichen Anfall, der in Zukunft anfallenden Betriebskosten und den zu erwarteten Nutzenwerten. Nur bei ganz besonderen Projekten kann eine qualitative Nutzenangabe genügen. Wenn bei derartigen Projekten auch keine Amortisationszeit oder Kapitaltilgungsdauer (klassische dynamische oder auch nur statische Investitionsrechnungen) angegeben werden kann, dann zumindest die zu erwartenden Kosten pro Fahrgastkilometer. Dazu ist eine Annahme von Fahr-Intensitäten erforderlich, wie sie bei allen Materialflussuntersuchungen gang und gäbe sind…

Das Mobilitätskonzept 2030 stellt für das Land, wie es daselbst heisst, das grösste Investitionsprojekt seit Jahren in der Vergangenheit und der nahen Zukunft dar.

Die Investitionskosten werden für Liechtenstein mit knapp CHF 72 Mio. angegeben (Landtagsbeschluss vom 4. Juni 2020). Wie belastbar ist diese Kostenschätzung, zumal die beiden Bahnübergänge in Schaan noch nicht fixiert sind? Ist der Bahnsteigausbau in Nendeln darin auch enthalten?

Für einen Taktbetrieb werden zusätzliche Zugsgarnituren benötigt werden. In welcher Form ist das im S-Bahn-Konzept enthalten?

Wie hoch werden die laufenden Betriebskosten sein bei einem Taktbetrieb? Wer trägt diese Betriebskosten? Das Land, die ÖBB, oder wird geteilt?

Es soll eine Nordschleife nach Buchs gebaut werden. Wo wird diese konkret gebaut werden? Wer bezahlt die dazu benötigten Grundstücke?

Welche Anzahl an Verkehrsteilnehmern wird von wo bis wohin die S-Bahn benutzen? Gibt es Annahmen dazu, und wenn ja, worauf gründen diese?

Wie hoch werden die Kilometerkosten je Fahrgast aufgrund der Annahmen bez. Nutzungsverhalten sein? Es geht hier zwangsläufig um Schätzwerte. Oder anders gefragt: Mit welchen Zuschüssen seitens des Landes muss dann jährlich gerechnet werden? Gibt es dazu eine Annahme?

Nicht unmittelbar zum S-Bahn-Projekt gehören folgende drei Fragen:

Es werden Kosten zugunsten für den S-Bahn-Ausbau angeführt, die die ÖBB auch ohne S-Bahn machen müsste. Es wird ein Zusammenhang und damit eine Dringlichkeit hergestellt, die so gar nicht gegeben ist.

Die Schweizer Bundesregierung hat die Brückenprojekte in Haag-Bendern und Sevelen-Vaduz auf unbestimmte Zeit zurückgestellt. Welche Auswirkungen auf das Verkehrskonzept werden dadurch erwartet?

Was bedeutet «der strassengebundene Güterverkehr wird gezielt gelenkt?» (Seite 70, Mobilitätskonzept).

Abschliessend: «Die Kostenschätzung ist derzeit nicht ausreichend belastbar, weil Kostenanteile fehlen. Die Wahrscheinlichkeit, dass zu einem späteren Zeitpunkt ein Nachtragsbudget zur Abstimmung kommen wird, ist sehr hoch bis fast sicher. Aussagen über die zu erwartenden Betriebskosten fehlen gänzlich. Belastbare Annahmen über Fahrgastintensitäten fehlen ebenso.

Aussagen über jährliche Staatszuschüsse können derzeit nicht gemacht werden und fehlen.

Das Mobilitätskonzept berücksichtigt in keiner Art und Weise Menschen mit jeder Art von eingeschränkter Mobilität.»

Dies die detaillierten Ausführungen von Dr. Norbert Obermayr. In seinem Schreiben an die politischen Verantwortungsträger (Abgeordnete, Parteien…) war es ihm wichtig festzuhalten, dass er seine Argumente nicht aus parteipolitischem Grund vorbringt, sondern aus rein fachlichen und sachlichen Überlegungen und auch mit der Zukunft seiner Kinder und Kindeskinder im Hinterkopf.
Man darf eine S-Bahn wie auch andere Investitionsprojekte natürlich als «Generationenprojekte» bezeichnen. Dies sollte aber nicht einfach ein wohlklingendes Wort sein, mit dem man ein Projekt «verkaufen» will. Generationenprojekte müssen verlässlich geplant und kalkuliert werden.

Ein Investitionsprojekt, das unseren Nachkommen nicht so viel nützt, wie versprochen, und das sie schlimmstenfalls finanziell gar nicht mehr stemmen können, ist abzulehnen.

Zurück zur Übersicht